|
Jean-Michel FolonEINLEITUNG Woher kommen die Ideen? Das bleibt letztlich ein Geheimnis. Die Phantasie ist stärker als wir. Aber
eines ist
gewiss: sie kommen aus der Beobachtung des Lebens. Wir gehen auf der Straße. Viele Dinge
kommen auf uns zu. Die Städte wachsen. Zeichen überschwemmen alles. Der Pfeil war die erste
Erfindung des Menschen zu seiner Verteidigung. Nun müssen wir uns gegen die Pfeile wehren. Wir eben im Dschungel der Städte. Und die Zeichen wachsen wie Bäume. An Stelle von Bäumen. Und wir ersticken unter den Pfeilen, die uns wie Lianen umschlingen. Das ist die Krankheit der Städte. Wer hat mich beeinflusst? Ich kann nicht sagen, dass mich jemand
beeinflusst habe. Denn alle haben mich beeinflusst. Alles ist Einfluss, glaube ich. Wir beurteilen alles, was wir antreffen. Ich glaube, es
genügt, eine schwarze Linie auf ein weißes Papier zu zeichnen. In dieser Linie ist alles enthalten, was wir angenommen und was wir abgelehnt haben. Wenn ich eine Linie zeichne, weiß ich,
dass James Ensor darin ist. Er ist der erste Künstler, den ich wirklich geliebt habe. Nach
Ensors Graphiken war ich richtig verrückt. Wegen ihm habe ich die Architektur fallen gelassen. Das ist normal:
Ensor war in Belgien ein Vorläufer auf nicht wenigen Gebieten. Eigenartig ist,
dass ich Magritte zu diesem Zeitpunkt verabscheute. Ich kann mich erinnern,
dass ich auch »Warten auf Godot« verabscheute. Wenn ich jetzt eine Linie zeichne, hoffe ich,
dass Magritte
und Becket darin sind. Und auch Lewis
Carroll. Und Buster Keaton. Ich glaube, sie sind die Väter meiner Generation. Aber alles vermischt sich. Alles ist Einfluss Eines Tages sagte ich zu Steinberg, er sei der Sohn von Paul Klee. Er sagte: »Nein, er ist mein Vetter«. Ein andermal, kurz nach dem Tod Andre Bretons, sagte er sogar: »Er war der wahre Marcel Duchamp« . Und Pablo Picasso hat gesagt: »Braque ist meine Frau«. Was zeigt, dass die Kunst eine große Familie ist. Alle schauen alle an. Aber abgesehen von den Familiengeschichten glaube ich, dass ein Künstler durch die Kunst nichtwirklich beeinflusst wird. Ich glaube, dass der einzig wahre Einfluss eines Künstlers das Leben ist. Zeichnen bedeutet nicht, vor einem weißen Blatt Papier den Kopf in die Hände stützen und sich Fragen, was man machen solle. Zeichnen heißt auf der Straße gehen und das Leben betrachten. Als Resnais das erste Mal in New York war, stand er jeden Morgen früh auf und lief den ganzen Tag umher. Und am Tag vor seiner Abreise schaute er seine Schuhe an und stellte fest, dass sie abgenutzt waren. So ließ er seine Schuhe in New York und reiste ab. Ich bin du Ansicht, dass ein Künstler dazu da ist, seine Schuhe abzulaufen. Ergänzt und bearbeitet Hans Terwege. |
Seitenanfang/side start Gesamtinformation/all exhibitions and exhibits of art Homepage Impressum Info allgemein / Info general |
Alle Künstlerinnen und Künster auf einen BlicK / All the artists at a brief glance |