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Geboren: 1313 in Paris, gestorben 1375 in Certaldo/Italien
■1313 ist Giovanna Boccaccio in Paris geboren als unehelicher Sohn des
Boccaccio oder Boccaccino di Chellino, eines Kaufmanns aus Certaldo (Toskana),
und einer französischen Edeldame. Den Vater hatte der Beruf nach Paris geführt. Das heimliche
Konkubinat mit Giovanna verwandelte er nicht, wie versprochen, in eine Ehe. Er
zog nach Florenz zurück. Nach dem raschen Tod der verlassenen Geliebten ließ
er Giovanni, welcher den Vornamen der Mutter trug, zu sich kommen, teils in
Florenz und dem nahen Certaldo verbrachte er seine Kindheit. Diese Frühzeit des
Lebens scheint ihm von der Frau seines Vaters Frau denaturiert worden zu sein.
Bald regte sich tröstend die Liebe zur Poesie und zur lateinischen Sprache.
Aber der Vater bestimmte ihn zum Kaufmann und schickte den fünfzehnjährigen
'Sohn zur weiteren Ausbildung nach Neapel. Hier bestand ein wichtiges
Handelszentrum von Florenz. Boccaccios Vater stand als Teilhaber des Bankhauses
Bardi in enger Verbindung mit dem Neapolitanischen Hofe; König Robert d'Anjou
verlieh ihm für seine finanziellen Dienste die Titel consiliarius, cambellanus,
mercator, familiaris et fidelis noster. Ungern oblag der Jüngling dem
aufgezwungenen Beruf; er verlor dadurch sechs Jahre. Alsdann wandte er sich,
wiederum auf väterlichen Wunsch, dem Studium des
kanonischen Rechtes zu. Wichtiger aber waren ihm die antiken Dichter (vor allen
Vergil, Ovid und Statius) und der Umgang mit gelehrten Männern. Er stand Paolo
da Perugia nahe, dem Bibliothekar des Königs und Spezialisten der Mythologie,
ferner wohl dem Dichter Cino da Pistoia und dem Freundeskreis Petrarcas. Bei
Andalö del Negro studierte er Astronomie, bei dem kalabresischen Mönch Barlaam
die griechische Sprache. Aufs höchste zog ihn das literarische und weltfrohe
Treiben an, das sich um König Robert den Weisen, den Förderer der Künste und
des Humanismus, konzentrierte.
■1336 ein Ostersamstag wurde entscheidend für
sein Leben und Schaffen: In der Kirche San Lorenzo entzündete sich seine Liebe
zu Maria dei Conti di Aquino, einer natürlichen Tochter des Königs. Sie war
mit einem neapolitanischen Edelmann vermählt. Bald schenkte sie Boccaccio ihre
schrankenlose Gunst. Sie waren beide halb französischen Blutes, Früchte der
illegitimen Liebe, beide gleichen Alters von dreiundzwanzig Jahren. Maria
erleichterte dem Geliebten den Zugang zum Hofe, dessen geistige Luft und dessen
ausschweifende Vergnügungen er in reichem Maße kennenlernte. Er genoss auch
die Freuden von Baja, dem Sommersitz der vornehmen Neapolitaner, es war schon
das Modebad der antiken römischen Aristokratie gewesen. Maria dei Conti di Aquino lebt als Boccaccios Fiammetta weiter. Sie
war offenbar eine Hetäre von Geist. Alsbald erkannte sie Boccaccios Genius und
ermunterte ihn, sich diesem ganz zu verschreiben. Halb unmittelbar, halb
mittelbar wurde sie die Inspiratorin zahlreicher Werke. Und als sie nach drei
Jahren leiblicher und geistiger Vereinung Boccaccio verließ, um sich ändern
Geliebten zuzuwenden, bedurfte er ihrer Antriebe nicht mehr. Die Peinigungen der
Eifersüchte und Liebessorgen hatte er freilich zutiefst gekostet, so wie er nun
die Qualen des Verlassenen durchlitt.
■1336-1341 entstand in Neapel der Filocolo, ein Prosaroman über
die mittelalterliche Legende von Flore und Blancheflor, eine aus byzantinischen
Stoffen gebildete Liebesgeschichte, die um 1160 in Frankreich aufgetaucht war
und von dort weiter wanderte. Er bringt das Decameron
über die Grundanlagen der geselligen Unterhaltung, welche durch die Novellen im
Decameron überarbeitet wiedererscheinen.
■1338 mit dem Filostrato
führte Boccaccio die Stanze (Ottava rima) zum ersten Male aus der
Volksdichtung in die Kunstpoesie ein, ihm folgten darin Luigi Pulci, Boiardo,
Ariost, Tasso. Der antike Vorwurf war von Statius (Tebaide) und im französischen
Roman de Thebes vor gebildet. Die besten Szenen des Poems weisen auf die
Novellen des amore gentile im Decameron. In den folgenden Florentiner Jahren fügte
er Dichtung an Dichtung.
■1341-42
dem Ninfale d' Ameto beginnt
die neuere Geschichte des Schäferromans: Boccaccio vollzieht den Übergang von
der lateinischen zur italienischen und zur romanhaften Ekloge. Der Roman Fiammetta handelt von der Liebe zu Maria di
Aquino. Aber der Dichter verkehrt die Rollen des Lebens: Piammetta ist die
Verlassene, Vergessene; ihre Qualen werden psychologisch analysiert. Zum
erstenmal erscheint hier eine Frau nicht spiritualisiert, sondern in den Gluten
und Leiden der Leidenschaft. Auch der Hauptteil von Boccaccios Lyrik
umkreist diese Liebe. Alle bisher erzeugten Werke hatten ihren Ursprung im
Fiammetta-Erlebnis. Allenthalben ist die Liebe der tragende Grund und der
thematische Vorwurf. Der Sinn für die Realitäten ist oft noch verschüttet
unter gelehrsamem, rhetorischem, allegorischem, ornamentalem Beiwerk. Aber die
dichterische Kraft brach immer wieder durch und schuf drei bedeutende
Kunstwerke: den Filostrato, die Fiammetta ein psychologischer
Roman 1343, erster Druck 1472, und erster deutscher Druck 1806 übersetzt von
Sophie Brentano geb. Mereau (1770/1806) Ehefrau von Clemens
Brentano (1778/1842) und das Ninfale
fiesolano.
■1346-1348 Reisen nach Ravenna, Forli und
Neapel. Dann nach Florenz zurück wo ihm die Stadt zahlreiche Ehren zukommen ließ.
Florenz wird Boccaccios ständiger Wohnsitz.
■1348 bis 1355 folgt die Krönung der Dichtung
Boccaccios, das Decameron. Mit vierzig Jahren schließt er sein höchstes und
reifstes Werk ab.
■1350 führt
ihn eine Gesandtschaft in die Romagna; im nämlichen Jahr überreicht er Dantes
Tochter Beatrice, die im Kloster Santo Stefano zu Ravenna lebt, zehn Florentiner
Goldgulden. Und im Herbst ist Petrarca sein Gast in Florenz. Hinfort verbindet
die beiden Dichter die reinste Freundschaft.
■1351 übermittelte Boccaccio seinem Freund
Petrarca eine Einladung der Signoria von Florenz, einen Lehrstuhl in Padua zu übernehmen,
aber er lehnt ab. Im gleichen Jahr repräsentiert Boccaccio die Republik in den
Verhandlungen mit der Königin von Neapel. Und im Dezember geht er als Gesandter
zu Herzog Ludwig von Bayern nach Tirol, um ihm ein Bündnis gegen Giovanni
Visconti vorzuschlagen.
■1362-1366 stellt er ein ausführliches
geographisches Nachschlagewerk zur Erleichterung klassischer Lektüre zusammen;
es trägt den Titel: De montibus, sylvis, fonfibus, lacubns, fluminibus,
stagnis seil paludibus et de nomin'tbus mar'ts libri. Diese gelehrten Werke
in lateinischer Sprache sind Ergebnisse seiner antiken Studien, denen die
Begegnung mit Petrarca neue Impulse gegeben hatte. Den Humanismus als
Bewusstseins-Haltung hatte Boccaccio schon zuvor verkörpert; und im
humanistischen Wandel des Sinnes für das Leben vollzog er mit dem Decameron
eine Wendung von unabsehbarer Bedeutung: das irdische Leben wird zum Thema der
Poesie. Allein, innerhalb des Humanismus als philologischer und philosophischer
Bewegung kommt Boccaccio geringe Bedeutung
zu. Die großen Wissens-Massen aus seinen griechischen und lateinischen Lektüren
speichert er in den genannten Kompilationen auf.
Bescheiden trägt er dabei Einzelheiten der klassischen Vorzeit zusammen, ohne
zu einer Synthese vorzudringen, ohne eigenen Ton, ohne eigene Wahl sammelnd. Ein
anderes ist die geschichtlich erklärbare Tatsache, dass Boccaccio durch seine
lateinischen Sammelwerke zuerst europäischen Ruf erlangte, während er als
italienischer Dichter erst später über Italien hinaus wirkte. Die Frührenaissance
um 1350 war nur eine kurze Phase. Nach Petrarca und Boccaccio, die zugleich große
Humanisten und große Dichter in italienischer Sprache waren, kam eine etwa
einhundertjährige Spaltung. Während Boccaccio auf humanistischem Gebiete
Petrarca nachstand, sowohl im seherischen wie im kritischen Sinne und auch im
Verwenden des Lateins, war er ihm überlegen in den griechischen Studien. In den
humanistischen Studien suchte Boccaccio Beruhigung von einer schweren seelischen
Störung, die ihn ergriffen hatte und den dichterischen Drang schleichend tötete.
Der vordem stillvergnügte, ausgeglichene, lebensfrohe Mann erlitt Depressionen.
Er ist bereit, seine Papiere ins Feuer zu werfen. Petrarca ermahnt ihn, bei
seinen geliebten Studien zu verharren. Er bleibt ihnen treu, fortan aber stets
den Todesgedanken im Rücken. Und das Decameron war der Stachel seines Alters.
Petrarca lädt ihn ein, bei ihm in brüderlicher Gemeinschaft zu leben; aber
zartsinnig lehnt er ab.
■1362 im Oktober geht Boccaccio auf Einladung
Niccolö Acciaiuolis, des Siniscaico der Königin Johanna, nach Neapel; gekränkt
verlässt er die Stadt nach sechs Monaten und reist zu Petrarca nach Venedig.
Alsdann wählt er Certaldo zum festen Wohnsitz — freilich ist er oft in
Florenz, und immer wieder unterwegs.
■1365 reist er in politischer Mission zu Papst
Urban V. in Avignon, und 1367
abermals zu ihm zu Viterbo und Rom.
■1370 sieht er Neapel zum letzen mal, doch aufs
neue enttäuscht. Schmeichelhafte Einladungen von hohen Seiten schlägt er aus;
sie hätten ihm sorglose Zeiten verheißen — ihm, der immer in
Geldverlegenheiten war. Aber er geht lieber zurück nach Certaldo, Johannes
Boccaccius de Certaldo civis', wie er sich in Dokumenten nennt, Certaldese nach
Herkunft, Florentiner von Adoption.
■1375 bittet ihn die Stadt Florenz, täglich eine öffentliche Vorlesung
über Dantes Göttliche Komödie zu halten, und zwar in der Kirche Santo Stefano
di Badia, zu einer Jahresbörse von einhundert Goldgulden. Um
1364 hatte Boccaccio seine Vita di Dante verfaßt. Und nun, am 25.
Oktober 1375, beginnt sein Dante-Kurs. Bis zum folgenden Januar hält
er etwa 60 Vorlesungen, die dann der „Commento ai primi 77 Canti
dell' Inferno“ werden.
Krankheit hindert ihn an der Fortsetzung der öffentlichen Lehre, und zudem die
Stimme
der Kritik, welche nicht die Musen vor dem Ignoranten Volk prostituiert wissen
will. Boccaccio zieht sich endgültig nach Certaldo, dem Städtchen seiner Väter,
zurück. Er bewohnt den Turm zur Linken seines mittelalterlichen
Hauses. Von hier eröffnet sich dem Auge ein weites Panorama über das Tal der
Elsa, auf die toskanische Landschaft, bis hin zu den Türmen von San Gimignano.
Im Juli 1374 erfährt er von dem Tod des einzigen und großen Freundes Petrarca.
Am Ende des nächsten Jahres stirbt Boccaccio, im Alter von 72 Jahren — der
letzte der drei Großen von Florenz.
Internet-Kunstausstellung Boccaccio - Chagall - Dali (back to the Internet-Art-Exhibition)
Boccaccio's berühmte Damen, Dokumentation (Biblothéque Nationale, Paris) 15.Jahrhundert
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